Die Entdeckung jüdischer Musikstile beginnt mit eine Melodie aus der Zentralasiatischen Oasenstadt Bukhara, die mit dem von Millionen Juden auf der ganzen Welt an jedem Freitagabend gesungenen Text „Komm, mein Freund und begrüße die Sabbatbraut" verbunden wurde.
Gepriesen als einer der größten Sänger des 20. Jahrhunderts lehnte Yossele Rosenblatt einst ein Angebot ab, die Rolle des Eleazar in "La Juive" an der Chicago Opera für $1000 pro Aufführung zu singen; Zeugnis seiner stimmlichen Fähigkeiten und seines religiösen Konservatismus. Ausser seines Erscheinens (nur Stimme) im allerersten Tonfilm, „The Jazz Singer", komponierte und nahm er hunderte von Stücken auf Ð unter ihnen dieses Kleinod, eine religiös-ausgerichtete Analogie zu einem besser bekannten Jiddischen Volkslied. Anstatt den Streit von Liebenden wiederzugeben ist der Text direkt an den Allmächtigen gerichtet: „Erinnere Dich woher wir kamen und lege nicht noch mehr Schmach auf uns/unterwirf uns keiner neuen Schmach. Lass uns É .Befreie Dein Volk, Israel!"
Dies ist eines von Hunderten von „Pismonim", religiösen Liedern, die von den syrischen Juden bei ihren „Mazas" oder Sabbatfeiern mit Essen, Trinken und Musik gesungen wurden. Diese Version des bekanntnen hebräischen Textes „Siehe, wie gut und angenehm es für Brüder ist, zusammen in Einigkeit leben" kommt aus der Aleppo-Tradition, wie der Ahi Ezer Yeshivah Chor in Brooklyn, Söhne und Enkel von Emigranten aus den 70ern unter der Leitung von Meir Levy, der den allerersten Sephardi Chor in den USA gründete. In den meisten arabischen Ländern wurden andächtige Lieder wie dieses typischerweise von einem ganzen Orchester von einheimischen Instrumenten begleitet: Oud (einer birnenförmigen Vorgängerin der europäischen Laute), Qanun, Ney, Darbuka usw. und in klassische arabische „Maqam" oder Modi gesetzt.
Die Traditionen der äthiopischen Juden, bekannt als Beta Israel, sind so archaisch, dass sie bis zum Massenexodus nach Israel noch ein Priesertum, Tieropfer und rituelle Tänze beinhalteten. Die meisten Lieder wurden in der alten semitischen Sprache Ge"ez gesungen. Liturgische Gesänge wurden typischerweise von einer Rahmentrommel ? und einem Gong begleitet, gewöhnlich im 5/8-Takt. Dieses Stück, das zur Berhan Saraqa - Feier (Neujahr) gesungen wird, wird von der Masenqo, einer diamantenförmigen, einsaitigen Fidel begleitet, die der Liedtext als das Instrument König Davids besingt. „Komm zu mir David, König von Israel, Autor der Psalmen, Spieler der Masenqo." Die €thiopier hätten ihm auch die gewöhliche Harfe Ð die äthiopische âKrar" zuschreiben können, die als eine der ältesten Harfen der Welt gilt.
Dieses Lied, aus den Gesängen des irischen Zigeunerin Margaret Barry geht auf eine Zeit zurück, als die Briten die Benutzung der geschriebenen und gesprochenen irischen Sprache verboten hatten und ist einer der raren, wertvollen Lieder der anglo-irischen Tradition, in der der Jude eher bestätigt als zum Sündenbock gemacht wurden. Der Pfuscher Bobby hält das jiddische Zeichen für gälisch und der Richter entpuppt sich als „Freund von Lord Briscoe", dem jüdischen Bürgermeister von Dublin Mitte der 50er Jahre. Obwohl sie weniger als 2000 zählten, gab es fast 1500 Jahre lang eine jüdische Bevölkerungsgruppe/ Juden in Irland.
Die ersten geschichtlichen Zeugnisse bezüglich Juden in Persien reichen in das Jahr 727 vor Christus zurück, in dem der assyrische König Tiglath Pilezer III die Juden verbannte, nachdem er Babylon erobert hatte. Trotz jahrhundertelanger Diskriminierung unter zahlrichen Dynastien und Herrschern überlebten die persischen Gemeinden nicht nur, sondern gediehen im Verborgenen und entwickelten ihre eigenen reichen und vielfältigen musikalischen Traditionen. Die Melodie dieser Sabbath-Morgenliturgie „Wie gut sind Deine Zelte, oh Jakob, wie gut Deine Wohnstätten, oh Israel" kommt aus dem Norwesten des Irans oder Aserbaidschan und ist in als Dashti bekannte musikalische Formen gegossen. Das persische System musikalischer Modi (dastgah) hat einen großen Einfluss auf die benachbarten Länder im Norden und Osten ausgeübt und Instrumente wie tar, kemanche, und santur (die hier zu hören ist) wurden von den jüdischen Virtuosi ebenfalls übernommen.
Vielleicht kein anderes Land ausserhalb Israels hat eine derartige Vielfalt an jüdischen Traditionen wie Italien. Von den Sefardi-Gemeinden von Livorno und Pisa zu den Ashkenazi im Nordosten den Levantine der Adriaküste, nicht zu sprechen von der ältesten ... jüdischen Gemeinde Europas in Rom. Die Tiefe und der Reichtum der italienischen jüdischen Musikstile wurde erst kürzlich dank der Arbeit des Weltmusikwissenschaftlers Leo Levi und Francesco Spagnolo aufgedeckt, der sich der sammlung dieses Materials verschrieben hat. Ich finde, diese Melodie aus Siena drückt in perfekter Weise das Wohlbefinden nach einem köstlichen italienischen Sabbath-Mahl aus: „Kameraden, lasst Ihn uns preisen, dessen Essen wir aßen und dessen Wein wir tranken."
Shalom Shabazi war ein Weber im Saana des 17. Jahrhunderts der mehr als 500 religiöse und mysthische Lieder in hebräisch, arabisch und aramäisch komponierte welche seit dieser Zeit zum Kanon des jemenitischen âDivan", einem Liedzirkel wurden, der Feiern wie Hochzeiten begleitete, die traditionellerweise sieben Tage dauerten ! In der damaligen Zeiten wurde Shabazi quasi wie ein Messiah verehrt und wird immernoch als der größte aller jemenitischen jüdischen Poeten und Mystiker angesehen. Er war auch ein scharfsinniger Politiker, der geschickt mit dem harten Regime verhandelte, das die Vertreibung aller Juden im Jahre 1679 anordnete. Die Benutzung einer Metalldose oder davor einer Messingplatte diente der Umgehung des moslemischen Verbots sämtlicher Musikinstrumente. Ein Auszug aus dem Liedtext: „Das Böse braucht seine Hässlichkeit und vervielfacht sich auf teuflische Weise um uns in Armut zu halten. Beschütze uns, rette uns, verlass uns nicht, uns, die Auserwählten Jakobs."
Die zynische Absicht der Nazis war es, aus Theresienstadt eine Art Modellgemeinde für Juden, Zigeuner, Homosexuelle, politisch Andersdenkende und andere "Untermenschen" zu machen. Sie erlaubten und ermutigten den Insassen, musika lische und Theaterveranstaltungen, Lesungen, Kunstausstellungen, Opern und Kabarett zu organisieren. Unter ihren Gefangenen waren zahlreiche begabte Regisseure (Kurt Gerron, der als Schauspieler den Gegenpart zu Marlene Dietrich in „Der blaue Engel" spielte) Komponisten (Martin Roman), Dichter (Leo Strauss, Sohn des Komponisten Oskar Strauss und Autor des Textes zu „Als Ob"), Schauspieler, Sänger, etc. aus ganz Europa. Gerron, Roman und Strauss organisierten Kabarettabende, für welche auch dieser Liedtext geschrieben wurde. Ich habe die Musik im Stil der „The Ghetto Swingers" komponiert, einer Gruppe von Zigeunermusikern, die regelmäßig im âKarussell"-Kabarett auftraten in Terezin und sogar in einem von Nazis 1944 produzierten Propagandafilm auftraten. Die Macher der Show waren mit einer sich ständig ändernden Besetzung und Publikum konfrontiert, da mehr und mehr Insassen zur Vernichtung nach Auschwitz transportiert wurden.
Im Jahre 1492 wurden die letzten Moslems und Juden gewaltsam aus Spanien vertrieben, von demselben König und derselben Königin welche Kolumbus` Reise finanziell unterstützten und beendeten damit eine fast 800-jährige blühende islamische wie klassische europäische Kultur, die durch die ruchlose Repression der Inquisition ersetzt wurde. Die Juden genossen unter dem Kalifentum von Cordoba einen privilegierten Status und viele große Gelehrte, Wissenschaftler, Künstler, Lehrer und Heilige vermachten der Welt nicht nur ihr Genie, sondern stellten auch eine Nachfolge ihrer griechischen und römischen Vorfahren dar, deren Erbe während des sogenannten „Dunklen Zeitalters" in Europa alles andere als verschwunden war. Diese spanischen Exilanten oder âSefardim" verstreuten sich über den gesamten Mittelmeerraum, aber vor allem überdas Ottomanische Reich, welches ihnen gegenüber nachsichtig war solange sie ihre „Jizi"ya" oder jährliche Ungläubigensteuer bezahlten. Deshalb sprechen Juden auf dem Balkan mittelalterliches Spanisch, bekannt als Ladino. Vieles von diesem Repertoire besteht aus extraliturgischen âcanticas" und âromanceros", die von Frauen gesungen wurden und enthält einen ganzen Zirkels von âcanticas de novia" Ð Brautliedern. In diesem Stück streiten sich zwei zukünftige Schwiegermütter freundschaftlich über die Mitgift der Braut. Die Begleitung erfolgt auf einem 6-saitigen, langhalsigen âtanbur".
Obwohl Salonika das Zuhause für die größte Gruppe der Safardi Juden unter den Ottomanen wurde, waren bereits seit Jahrhunderten jüdische Gemeinden in ganz Griechenland verteilt. Unter den Byzantinern waren diese als âRomaniot" bekannt. Später schlossen sich diesen beiden Gruppen weitere aus Süditalien geflohene Juden an, vor allem auf Korfu. Der griechische Refrain wurde einem wohlbekannten hebräischen Text zugefügt, der bei Simchat Torah gesungen wurde. Diese Version von „Es gibt keinen Mächtigeren als Gott, keinen Gesegneteren als Moses, Sohn von Amram, keinen größeren als Torah, kein Volk wie Israel" kommt aus der Romaniot Tradition von Chalkis und wird auf der kretischen Lyra (3-saitig, tränenförmige Fidel) begleitet.
Die als „Hassidism" bekannte Bewegung, die im 18. Jahrhundert von Bal Shem Tov gegründet wurde, verbreitete sich wie ein Lauffeuer über Osteuropa und legte einen Schwerpunkt auf andächtige Gesänge, Tänze, Frömmigkeit und das Feiern des Lebens, und entwickelten dabei einen instrumentales Genre bekannt als Klezmermusik. Musik ohne Text, âNigunim" (Melodien) wurden als direkter Weg zu Gott angesehen und viele von ihnen wurden von Hassidic Rebbes selbst komponiert und leidenschaftlich von allen Anwesenden des âtish" der Rebbe (einer kommunalen Feier) gesungen und bis heute durch mündliche †berlieferung weitergegeben. Ausserdem wurden, wie von Juden in allen Ländern üblich, einheimische Lieder für den jüdischen Gebrauch angepasst. Dies ist, glaube ich, bei dieser Auswahl der Fall, die in ukrainisch, jiddisch und hebräisch zu fröhlichen Anlässen wie Purim oder Simchat Torah gesungen wurde. Der Refrain geht wie folgt: „Du musst wissen, wie man Freude hat, um ein aufrichtig Rechenschaft vor dem Herrn ablegen zu können. Wir trinken und Essen — Du, Hashem wirst uns von oben hören."
Aus schierer kultureller Zähigkeit können sich nur wenige jüdische Gemeinden mit denen messen, die an der sogenannten Seidenstrasse verteilt waren wie Perlen an einer Schnur vom Kaspischen Meer bis zum Pazifischen Ozean. Die musikalischen Einflüsse dieser Juden, die unzählige Wellen von Angriffen überstanden haben, umfassen persische, arabische, türkische, mongolische, indische, russische und sogar chinesische! Mit einer derart farbenfrohen Stilpalette wundert es wenig, dass das liturgische und nichtliturgische Repertoire an Volks- und klassischer Musik der zentralasiatischen Juden so weitreichend und vielfältig ist. Diese einfache Volkslied wird auf der Daira (Rahmentrommel) und der Dutar (langhalsige Laute) begleitet.
Jüdische Händler entlang der „maritimen Seidenstrasse" etablierten sich laut ihrer Tradition kurz nach der Zerstörung des zweiten Tempels in Jerusalem in 72 ?? entlang der Malabar Küste von Kerala. Der erste offizielle Beweis ihrer Gegenwart sind Daten aus dem Jahre 1000 als König Bhaskar Ravivarman Rechte und Privilegien an den jüdischen Anführer von Anjuvannam Ð Joseph Rabban, verlieh. Ausser der kurzen Periode portugiesischer Unterdrückung genossen die Cochin-Juden unter ihren Glaubensbrüdern die Seltenheit religiöser Freiheit. Dennoch deklariert der malaysische Text dieses Stücks: „Gott, der uns für unsere Sünden fortgesandt hat , wird uns eines Tages heim nach Jerusalem bringen." Tatsächlich hiess es, dass es kaum genug Juden gab, um einen Minian zu bilden?, da die meisten seit 1948 nach Isreal gegangen waren. Viele ausgezeichnete, jahrhundertealte Synagogen werden langsam vom Dschungel wiedereingenommen. Begleitende Instrumente zu diesem Stück sind das alte Saiteninstrumente vichitra vina und die zweiköpfige Trommel mrdang.